Von: Tilman Weigel
Es muss ein ziemliches Gemetzel gewesen sein, am 24. August 1572 in Paris. Mehrere tausend protestantische Hugenotten wurden ermordet. In der Folge kam es in vielen französischen Städten zu Pogromen. Erst das Edikt von Nantes sicherte den Protestanten wenig später Glaubensfreiheit zu. Diese Bartholomäusnacht war vielen Hugenotten noch in Erinnerung, als rund 100 Jahre später Ludwig XIV das Edikt wieder außer Kraft setzte. Kein Wunder also, dass viele Protestanten Frankreich schleunigst verliesen. Auch nach Bayern kamen schätzungsweise rund 4.000 Flüchtlinge, überwiegend nach Franken. Denn das Kurfürstentum Bayern selbst war streng katholisch und nicht gerade für Liberalität in Glaubensfragen bekannt. Gerade erst hatte es die evangelische Oberpfalz zwangsrekatholisiert.
Am bekanntesten dürfte Erlangen für seine Hugenotten sein. Die alte Hauptstadt des Unterlands des Fürstentums Bayreuth war im 30-Jährigen Krieg stark zerstört worden. Da waren die französischen Glaubensflüchtlinge für Markgraf Christian Ernst ein Geschenk des Himmels. Bei Erlangen lies er für sie eine komplett neue Stadt mit Kirche, Manufakturen und Geschäften planmäßig anlegen. Sie durften wie in einigen anderen Städten eigene Kirchen und Schulen bauen. Für zehn Jahre wurden die Manufakturen von der Steuer befreit und arme Hugenotten erhielten zum Hausbau Darlehen und Baumaterial. Insgesamt rund 1.500 Hugenotten dürften nach Erlangen gekommen sein, genauer gesagt nach Christian-Erlang, das erst 1812 mit dem alten Erlangen vereinigt wurde. Sogar ein markgräfliches Schloss, einen Ballsaal und ein Theater wurden in der auf dem Reißbrett entworfenen Musterstadt errichtet.
Auch in Bayreuth siedelten sich Hugenotten an, doch waren die Bayreuther keineswegs die einzigen oder ersten in Bayern, die französische Glaubensflüchtlinge aufnahmen. Viele Hugenotten waren zuerst in die evangelischen oder gemischt-konfessionellen Reichsstädte wie Nürnberg oder Regensburg gezogen. Letztendlich war es aber neben Bayreuth das Fürstentum Ansbach, das Flüchtlinge aufnahm.
Die Pläne des Markgrafen Hans Friedrich waren ähnlich ehrgeizig wie die seines Bayreuther Kollegen. Er wollte in Ansbach ein neues Stadtviertel für die Hugenotten schaffen. Dazu lies er Häuser und Raumpläne zeichnen, doch bevor die Entwürfe verwirklicht werden konnten, starb der Markgraf. Der lutherische Klerus drängte derweil seinen Nachfolger, die „Falschgläubigen“ nicht nach Ansbach zu lassen. Also entschied man sich, ihnen in der zweitgrößten Stadt der Markgrafschaft ein Quartier anzubieten, in Schwabach.
Dort hatten bereits wenige Jahre zuvor Flüchtlinge aus der Oberpfalz und aus Österreich einen neue Heimat gefunden. Innerhalb eines Jahres entstand auf einem freien Platz in der Stadt die erste kalvinistische Kirche Frankens. Zu ihr gehörte eine Schule und natürlich auch eine Bäckerei, um die neuen Bürger mit Baguette und anderen in Deutschland damals noch unbekannten französischen Backwaren zu versorgen. Anders als in Erlangen und in den Planungen für Ansbach siedelten die Hugenotten in Schwabach allerdings mitten in der Stadt. Rund 500 dürften es gewesen sein, so dass mehr als die Hälfte der 4.000 bayerischen Hugenotten in Erlangen und Schwabach unterkam. Die übrigen verteilten sich auf zahlreiche andere Städte wie Bayreuth und Hof oder auch kleinere Orte wie Neustadt an der Aisch oder Emskirchen.
Über 100 Jahre behielten die Hugenotten in Deutschland ihre Sonderstellung. Sie nahmen keineswegs so bereitwillig die deutschen Sitten und Gebräuche oder die deutsche Sprache an, wie man es heute von Einwanderern fordert. In den Kirchen wurden französisch gepredigt – und das meisten nicht unter vier Stunden lang. Sie hatten eigene Schulen und einen eigenen Vorsteher der „französischen Kolonie“. Erst während der französischen Besetzung großer Teile Deutschlands unter Napoléon wanden sich die Hugenotten in vielen deutschen Städten verstärkt von ihren französischen Traditionen ab und hielten ihre Gottesdienste auf deutsch.
Die Hugenottenstädte haben vielfach von den neuen Einwohnern profitiert. Die Franzosen erhöhten nicht nur die Einwohnerzahl deutlich, sondern brachten auch neue Handwerke mit, wie das Strumpfwürgen, die Nadlerei und die Herstellung leonischer Waren. Zum Teil haben sich die Industriezweige bis heute in diesen Städten erhalten.